Debatte mit Tomasz Konicz

Der Autor Tomasz Konicz, der unser Buch kritisch analysiert hat, war so freundlich, auf unsere Anmerkungen zu seiner Kritik einzugehen. Er bat aber darum, dass seine Reaktion auf diesem Blog dokumentiert wird, was hiermit geschieht, siehe unten.

Vorab ein kurzer Kommentar dazu: Konicz weigert sich offenbar standhaft, unsere – von ihm bereits zuvor als „halbherzig und zutiefst opportunistisch“ bezeichnete – Ironie als legitimes Stilmittel anzuerkennen. Was also gibt es zu unserer Verteidigung zu sagen? Vielleicht, dass die Ironie auf den ersten Seiten unseres Buches natürlich auch eine Provokation der „Putin-Basher“ sein soll, in dem sie genau das artikuliert, was diese nicht hören wollen und zugleich ihren Gegnern unterstellen: eine hemmungslos unkritische Putin-Verehrung. Dass wir dieser aber eben gerade nicht anhängen, zeigen unter anderem mehrere Passagen der Einleitung, die der Kollege vielleicht überlesen hat.

So benennen wir den Kult um Putin in russischen Medien als eine „selbstreferentielle Herrscherinszenierung“ (S. 11), erwähnen auch, dass er „den demokratischen Pluralismus einschränkte“ und „das Parlament entmündigte“ (S. 13), die „Demokratie in eine ‚Demokratur‘ verbog“, „dass er Meinungs- und Pressefreiheit einschränkte“, und „nicht nur das Parlament, sondern auch die Justiz durch eine Machtvertikale von oben“ lenkt (ebenfalls S. 13).

An dieser Stelle dürften die Grenzen unserer „Verehrung“ eigentlich hinreichend klar geworden sein. Den eigentlichen Impetus unseres Einleitungskapitels, abseits aller Ironie, fasst folgende Passage daraus vielleicht gut zusammen:

„So berechtigt Kritik an der aktuellen demokratischen Verfasstheit Russlands sein mag: Sobald diese Kritik zur Waffe eines Werteimperialismus gerät, der den zu ‚befreienden‘ Kolonien aufgezwungen oder gar als Teil der sogenannten Sicherheitspolitik zum ‚Menschenrechtsbellizismus‘ wird, entwertet sie sich selbst. (…) Und genau hier liegt der Kern des Konflikts des Westens mit Russland: Nicht Putins autokratische Regierungsführung oder homophoben Gesetze sind der Grund, warum er im Westen zur Unperson wurde – viele der aktuellen Alliierten des Westens rangieren diesbezüglich weit unter dem Niveau Russlands –, sondern die Tatsache, dass er den immensen Ressourcenreichtum Russlands der fröhlichen Ausbeutung durch transnationale Konzerne entzogen und unter die Kontrolle des Staats gebracht hat. Und damit hat er sich auch wieder zu einem wichtigen Player im ‚Great Game‘ gemacht – dem seit Jahrhunderten währenden Kampf der großen Nationen um die Rohstoffe und Ressourcen dieser Erde.“ (S. 15f)

Es folgen die Anmerkungen von Tomasz Konicz. Die Nummerierung bezieht sich auf den Beitrag hier.

1. Zur ambivalenten Funktion der Ironie hat Thomas Mann in Gestalt des Spätaufklärers Setembrini im Zauberberg alles Notwendige gesagt. Ich zitiere: „Ach ja, die Ironie! Hüten Sie sich von der hier gedeihenden Ironie …! Hüten Sie sich überhaupt vor dieser geistigen Haltung! Wo sie nicht ein gerades und klassisches Mittel der Redekunst ist, dem gesunden Sinn keinen Augenblick missverständlich, da wird sie zur Liederlichkeit, zum Hindernis der Zivilisation, zur unsauberen Liebelei mit dem Stillstand, dem Ungeist, dem Laster. Da die Atmosphäre, in der wir leben, dem Gedeihen dieses Sumpfgewächses offenbar sehr günstig ist, darf ich hoffen oder muss ich fürchten, dass Sie mich verstehen“

Liebe AutorInnen, welcher Art von Ironie befleißigen Sie sich in der Einleitung? Fungiert sie dort als ein „klassisches Mittel der Redekunst“, das dem „gesunden Sinn keinen Augenblick missverständlich“ ist? Sagen Sie dort tatsächlich das Gegenteil all dessen aus, was an putinischen Lobeshymnen in den ersten beiden Absätzen ihrer Einleitung zu finden ist (Dan wären Sie sehr nah an der Verteufelung Putins, wie sie im Mainstream propagiert wird), oder ist es eher die mehrdeutige, „halbherzige“ Ironie, die eine Aura der Ungewissheit über Ihre Intentionen aufkommen lässt. Um es klar zu sagen: Sie sichern sich hier ab. Diese ironische „Unschärfe“ dient gerade dazu, Kritik an ihrer Bewunderung für den „Macher“ Putin mit dem Verweis auf eben diese Pseudoironie begegnen zu können.

Diese mehrdeutige und halbherzige, durch und durch affirmative Form der Ironie ist auch heutzutage tatsächlich (wiedermal) sehr weit verbreitet. Sie kommt etwa in der selbstironischen Haltung des Hipsters zum Ausdruck, der seine Selbstinszenierung durchaus reflektiert – und trotzdem diese zu perfektionieren versucht. Es ist eine augenzwinkernde Bereitschaft, bei allem mitzumachen, obwohl man es als Show, als falsch und verlogen erkannt hat. Ihre Einleitung ist – rein handwerklich betrachtet – durchaus gut gemacht. Inhalt und Form kommen hier zur Übereinstimmung. Und sie wird viele Menschen ansprechen, die für solche Art von Pseudoironie empfänglich sind.

2. In Ihrer Einleitung konnte ich keine Kritik der Postdemokratie finden. Was ich vorfand, ist die – durch die besage ironische Unschärfe notdürftig kaschierte – Bewunderung für die postdemokratische Show, die Putin abzieht.

3. Hier nochmals das betreffende Zitat aus ihrer Einleitung: „Dass auch in Deutschland grölende Punk-Tussis verhaftet und bestraft würden, wenn sie im Kölner Dom aufträten, dass auch hier erst seit wenigen Jahrzehnten Schwule und Lesben nicht mehr kriminalisiert werden und dass etwa der TV-Auftritt eines bärtigen Travestie-Freaks wie Conchita Wurst noch vor wenigen Jahren zu einem breiten Aufschrei kultureller Empörung geführt hätte: All dies fällt bei der schulmeisterlichen Arroganz unter den Tisch, mit der der Westen russische Verstöße gegen seinen Wertekanon moniert und aufbläst.“

Sie verweisen darauf, dass auch im Westen viele Menschenrechte erst vor Kurzem erkämpft wurden (Schwulenemanzipation), oder schon wieder eingeschränkt (Meinungsfreiheit und Religionskritik) werden. Danach bezeichnen sie diese Menschenrechte als den “Wertekanon“ des Westens. Was gibt es da zu missverstehen? Die abwertende Wortwahl (Travestie-Freaks, Punk-Tussis) bringt nur ihre eigenen autoritären Dispositionen zum Vorschein, liebe AutorInnen. Oder ist das ein Zugeständnis an das Publikum, an das Sie sich richten?

4. Die hier getätigte Schlussfolgerung ergibt sich zwangsläufig aus den zuvor gemachten Beobachtungen (siehe Punkt 1. bis 3).

5. Naja, in der Einleitung, die doch einen thematischen Überblick des Buches leisten sollte, kann ich hiervon mit Ausnahme einiger müder Lippenbekenntnisse nichts finden.

6. Dugin ist ein Vertreter der kulturalistischen Neuen Rechten, die nicht mehr die Rasse, sondern die Kultur zum trennenden Element zwischen Nationen und Völkern erklärt. Diesen Unsinn hat er sich natürlich bei der europäischen Rechten abgeschaut, um es dann als eine „autochthone“ russische Ideologie zu verkaufen. Selbstverständlich hat er bei vielen Gelegenheiten klar gemacht, dass er die universellen Menschenrechte für eine Ausgeburt der westlichen Kultur hält. Aus dem Zitat und den Darlegungen unter Punkt 3. muss gefolgert werden, dass dies auch für die AutorInnen des Buches zutrifft.

7. & 8. Ihre „affirmative Darstellung der autoritären Maßnahmen“ Putins und das damit einhergehende „Verständnis für eine autoritäre Krisenpolitik“ kommen beispielsweise in den ellenlangen Passagen zum Ausdruck, in denen Sie munter „Werte wie Meinungsfreiheit“ (das sollte doch eigentlich ein Menschenrecht sein, oder?) mit den desaströsen sozioökonomischen Folgen der Systemtransformation vermischen, die unter „dem Banner dieser Werte“ die postsowjetischen Gesellschaften verwüsteten. Jeder osteuropäische Reaktionär, den kennenzulernen ich das Missvergnügen hatte, hat immer die „Werte der Demokratie“ für die Verehrungen der Systemtransformation verantwortlich gemacht. Im Osten nichts Neues.

Noch ein Kommentar zu Ihrem Fazit, liebe AutorInnen, in dem Sie sich fragten, „ob der Koniczsche “Spin”, uns eine “Sehnsucht nach dem starken Mann” zu unterstellen, nun von weiteren Rezensenten aufgegriffen wird“. Offensichtlich ist dies nicht geschehen. Es überwiegen positive Reaktionen, wie man Ihrer Internetpräsenz entnehmen kann. Liegt es daran, dass die Massenmedien sich schon grundlegend zum Besseren gewandelt haben, oder eher daran, dass Ihre Kritik eigentlich gar keine Kritik ist (Siehe hierzu die Ausführungen zum Alternativimperialismus in meiner Rezension ihrer Einleitung)?

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