„Mangelnde Kenntnisse“ oder unbequeme Fakten?

Ganz in der Tradition der Verrisse unseres Buches von FAZ und Tomasz Konicz hat sich nun ein weiterer polnischer Autor zu Wort gemeldet. Thomas Dudek geht es in seiner kürzlich erschienenen Kritik mit der Überschrift „Ihr seid nicht besser!“ vor allem darum, vermeintlich „mangelnde Kenntnisse“ der Buchautoren aufs Korn zu nehmen. Wir hätten einfach von ukrainischer Geschichte keine Ahnung und würden daher zu ganz falschen Schlussfolgerungen kommen.

Zwischen den Zeilen wird deutlich, dass dem Kritiker vor allem die amerikakritische Stoßrichtung des Buches nicht gefällt. Er möchte stattdessen viel eher die Sowjetunion bzw. Russland kritisiert sehen. Diese Sichtweise ist natürlich legitim – der kritische Blick vieler Polen auf Russland erscheint historisch gesehen mehr als verständlich. Unangenehm am erwähnten Verriss ist allerdings, dass er stark auf Unterstellungen und, mehr noch, auf verfälschendes Zitieren aus unserem Buch setzt.

Darüber hinaus fällt Thomas Dudek, wie vor ihm schon Tomasz Konicz, in seiner Rezeption unseres ersten Buchkapitels durch einen ausgeschalteten Ironiedetektor auf. Er nimmt die satirisch überspitzte „Putinverehrung“ auf der ersten Seite für den eigentlichen Kern des Buches. Dazu hatten wir bereits Herrn Konicz erwidert, dass die Ironie am Anfang unseres Buches natürlich eine Provokation der „Putin-Basher“ ist, in dem sie genau das artikuliert, was diese nicht hören wollen und zugleich ihren Gegnern unterstellen: eine hemmungslos unkritische Putin-Verehrung.

Dass wir dieser aber eben gerade nicht anhängen, zeigen unter anderem mehrere Passagen der Einleitung, die sämtliche polnischen (und anderen) Kritiker bislang konsequent überlesen. So benennen wir den Kult um Putin in russischen Medien als eine “selbstreferentielle Herrscherinszenierung” (S. 11), erwähnen auch, dass er “den demokratischen Pluralismus einschränkte” und “das Parlament entmündigte” (S. 13), die “Demokratie in eine ‘Demokratur’ verbog”, “dass er Meinungs- und Pressefreiheit einschränkte”, und “nicht nur das Parlament, sondern auch die Justiz durch eine Machtvertikale von oben” lenkt (ebenfalls S. 13).

An dieser Stelle dürften die Grenzen unserer “Verehrung” oder unseres „Schwärmens“ eigentlich hinreichend klar geworden sein. Befragt zu seiner Kritik teilt Dudek uns nun jedoch mit, dass wir zwar tatsächlich einige Defizite des heutigen Russlands erwähnten, doch, so der Autor:

„dies ist meiner Meinung nach nichts anderes als ein Kunstgriff, eine publizistische Schutzmauer, um sich vor Kritik der Putinbegeisterung zu schützen“.

So etwas nennt man dann wohl ein hermetisch abgeschlossenes Feindbild. Alles was bei der Argumentation des Gegners nicht in die eigene Sichtweise passt, kann nur als dessen cleverer „Kunstgriff“ zur Verwirrung der Anderen gewertet werden … Dass Autoren eines Buches zu einem komplexen politischen Thema womöglich einfach zu differenzierendem Denken in der Lage sind, und demzufolge auch an der Politik Putins Positives UND Negatives entdecken können – für wahr, welch Überraschung!

Weiterhin unterstellt der Rezensent, dass wir der Ukraine „kein Recht auf Eigenstaatlichkeit“ zubilligen würden. Das ist absurd. Was wir in unserem Buch allerdings zeigen, sind die ernormen ideologischen Widersprüche zwischen den Bevölkerungsteilen im Osten und im Westen des Landes, welche die Bildung eines einheitlichen nationalen Narrativs bislang eben enorm erschwerten. Das ist keine Wertung unsererseits sondern ein schlichtes Faktum. Auch wenn der Sprachenstreit zwischen Anhängern des Russischen und des Ukrainischen, darauf weist Dudek zu Recht hin, mehr politisch instrumentalisiert wird, als eine relevante Ursache des Konfliktes zu sein.

Weiter heißt es in der Kritik, es entstehe beim Lesen des Buches der Eindruck, „als ob die Ukrainer einfach nur schon von Kindesbeinen an Faschisten sind. Oder wie es Bröckers und Schreyer schreiben: ‚ein weitgehend ungebrochenes historisches Verhältnis zu Hitlers Faschismus‘ haben.“

Hier zitiert der Kollege nun bewusst verfälschend. Denn das Originalzitat spricht eben nicht von „den“ Ukrainern, sondern stellt stattdessen die sich verfeindeten Fraktionen im Land einander gegenüber (Seite 33-34):

„Wie aus dieser Dichotomie eine gemeinsame Erzählung der Ukraine als Nation werden kann, wie die ukrainischen Patrioten ihr weitgehend ungebrochenes historisches Verhältnis zu Hitlers Faschismus auf der einen und Stalins Kommunismus auf der anderen Seite aufarbeiten und zu einem gemeinsamen nationalhistorischen Haus zusammenfügen sollen, scheint ein kaum lösbares Dilemma.“

Diese Differenzierung fällt im Zitat des Kritikers aber einfach unter den Tisch. Zum Schluss seines Textes zitiert er dann ein weiteres Mal verfälschend:

„Ansonsten muss man befürchten, dass die beiden Autoren, wenn es um die Nationen in Ostmitteleuropa geht, chauvinistischer sind als die in ihrem Buch mit der NPD verglichene ukrainische Regierung.“

Doch die entsprechende Passage in unserem Buch spielt lediglich ein vergleichendes Gedankenspiel durch, in dem es heißt (Seite 24):

„Nehmen wir einmal folgendes Szenario an: In Deutschland findet ein von einer äußeren Macht geförderter Putsch statt, bei dem die demokratisch gewählte Regierung mit Waffengewalt abgesetzt und durch ein Regime ersetzt wird, in dem die NPD und ihre bewaffneten Kameradschaften einen bedeutenden Einfluss haben.“

Wir haben also nicht die ukrainische Regierung „mit der NPD verglichen“, wie Dudek behauptet, sondern wir haben eine hypothetische Situation beschrieben, in der in Deutschland „die NPD und ihre bewaffneten Kameradschaften einen bedeutenden Einfluss haben“.

Wiederum: Die Differenzierung fällt einfach unter den Tisch. Darauf angesprochen teilt uns der Kritiker nun mit:

„Sorry, aber für mich ist das jetzt nur Scheinheiligkeit. So wie im Einleitungskapitel mit der Aufzählung der Missstände in Russland, oder so wie im Teil über die ukrainische Sprache, wo sie sich hinter Bulgakow verstecken, errichten Sie sich ein Phantasie-Szenario als Schutzmauer, hinter der sie sich erneut verdecken und rufen: aber das ist doch gar nicht so gemeint.“

Irrtum, Herr Kollege! Was wir schreiben ist schon so gemeint, man muss es allerdings genau lesen und eben nicht eigene Anschauungen hineinlesen. Konkret: Bei der in der Ukraine im Februar 2014 an die Macht gelangten Regierung haben militante Rechtsextreme tatsächlich einen „bedeutenden Einfluss“. Das kann man ja nun kaum seriös bestreiten.

Dudek aber fragt:

„Warum entspricht dieses Gedankenspiel der Darstellung vieler ktitischer Autoren über den Maidan, als man ständig an die Verbindungen der Swoboda zu der NPD erinnerte sowie die Rolle des Rechten Sektors?“

Diese Frage transportiert nun eine Arglosigkeit, die angesichts des realen Einflusses militanter rechter Kreise auf die Politik in der Ukraine und im Besonderen auch auf den Maidan, viel über die blinden Flecken im Weltbild manchen Kritikers unseres Buches aussagt. Deren Tenor ist ja immer wieder, wir würden zu einseitig die Rolle der USA im Konflikt kritisieren. Und überhaupt, so schlimm und wichtig seien die Rechten gar nicht. Doch – und diese Frage muss erlaubt sein – wie kommt es dann, dass bis heute so gravierende Massenmorde wie das Blutbad auf dem Maidan, das Massaker in Odessa oder der Abschuss von MH-17 nicht sauber aufgeklärt werden konnten, wenn es doch vermeintlich so glasklar ist, dass Putin respektive der verjagte Janukowitsch oder schlicht „die Pro-Russen“ hinter allem stecken? Und warum eigentlich ruft im medialen Mainstream niemand (auch nicht Kollege Dudek) klar und vernehmbar nach Aufklärung dieser Geschichte machenden Morde?

Immerhin gesteht der Kritiker unserem Buch aber auch Positives zu. So schreibt er uns (allerdings nicht in seinem öffentlichen Verriss):

„Ihr Buch hat ja viele richtige Aspekte. Egal ob es um die NGO’s geht oder die berechtigte Kritik an der Berichterstattung der Mainstreammedien. Doch allein mit der Rolle der EU, den Stiftungen der deutschen Parteien, lässt sich die Ukraine-Krise nicht erklären. Selbst wenn die USA, die EU oder die deutschen Parteien doppelt so viel Geld ausgegeben hätten – ohne bestimmte innenpolitische Entwicklungen, die in der Ukraine 2004 mit der Orangenen Revolution, und der Enttäuschung über das, was aus der Orangenen Revolution wurde, ins Rollen kamen, wäre der Euromaidan, bei dem Europa eigentlich höchstens nur in den ersten Tagen im Vordergrund stand, sondern eine bei allen gesellschaftlichen Schichten vorhandene Enttäuschung über die innenpolitische Situation, niemals möglich gewesen. Die Enttäuschung und die Wut der Bevölkerung über das Janukowitsch-Regime streifen sie leider aber nur kurz, um dann sich doch wieder auf die Mächte von außen zu konzentrieren. Also die aus dem Westen.“

Das ist richtig. Denn der Einfluss dieser Mächte wird weiterhin systematisch unterschätzt bzw. klein geredet. Ohne die massive Einmischung des Westens, der die reale Unzufriedenheit in der Bevölkerung eben für seine eigenen Zwecke ausnutzte, und der mit Geld, mit Stiftungen, mit lancierten Politikern etc. Fakten schuf, hätte es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Machtwechsel in der Ukraine im Februar 2014 gegeben. Dieser Umsturz war eben gerade nicht das Werk eines unabhängigen und zivilen Bürgerprotestes. Weiterhin lesenswert bleibt dazu die Analyse „Der verklärte Aufstand“ von Stefan Korinth.

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